Wir haben es getan!

Als mich die WhatsApp-Nachricht erreicht, bin ich gerade in meinem 6-wöchigen Sabbatical zu Fuß Richtung Rom unterwegs, sitze auf einer Bank irgendwo im Grünen und genieße die Aussicht. Mit diesen vier einfachen Worten informiert mich mein Team, dass wir bei einer unserer größten Webseiten rund 40% aller Inhalte ohne Rankingsignale gelöscht, oder mit anderen, rankenden Artikeln zusammengelegt haben. Ich nicke zufrieden, schicke ein „Thumbs Up!“ zurück und bin stolz auf mein Team – zum Löschen gehört immer auch etwas Mut. Ich vermute schon jetzt: Wenn ich zurück bin wird es mit den Projekten aufwärts gehen, denn wir werden mit weniger Inhalten bessere Ergebnisse erzielen als bisher. Womit wir beim Thema sind.

Aus vielen Gesprächen mit Partnern, Content-Produzenten und anderen Führungskräften weiß ich: Nichts sorgt für mehr Unruhe als das großflächige Aufräumen einer redaktionellen Webseite. Gesteht man damit nicht ein, unnötige Inhalte, möglicherweise über Jahre produziert, interne und externe Ressourcen verschwendet und weder Wachstum noch Umsatz mit diesen erzeugt zu haben? Mal ganz abgesehen von der Wut und Enttäuschung mancher Redakteure ihre Inhalte „einfach“ zu beerdigen oder mit anderen zu einem großen Überblicksartikel zusammenzufassen (Konsolidieren).

Ineffektive Inhalte löschen und konsolidieren: Es gibt keine Alternative

Die Fragen und Sorgen sind freilich berechtigt, verkennen aber häufig, wie schnell sich heute die Spielregeln im Internet ändern: Suchintentionen verschieben sich, neue Konkurrenten tauchen auf und ranken mit ihren teils anders gefassten Inhalten besser und die Suchmaschinen drehen an ihrem Algorithmus. Am Ende bleibt keine Alternative zum Aufräumen. Dazu kommt: Inhalte ohne Suchsignale haben keinen Besucher, ohne Besucher gibt es keine Chance auf Umsätze. Niemand lässt eine ineffektive Bezahl-Kampagne laufen. Niemand mietet eine Leuchtreklame-Fläche, deren Lampen kaputt sind.

Und doch zuckt die Hand nervös überm „Löschen“-Knopf, geht es um redaktionelle Inhalte – häufig aus dem Gedanken heraus, diese könnten noch einen Wert haben. Vielleicht haben sie diesen auch – als Whitepaper, Print-Text oder als Vorlage für Audio- und Video-Skripte. Aber nicht als potenziell rankender Beitrag. Ineffektiven Content zu behalten ist mindestens aus Suchmaschinen-Sicht fatal:

Die Suchmaschine durchsucht mittels Bot die Seite länger, findet möglicherweise im Verhältnis mehr irrelevante als relevante Seiten, bekommt keine klaren Signale und verbraucht aus ihrer Sicht unnötiges Crawl-Budget. Mittelfristig sinken die Rankings und kein neuer, guter Content dieser Welt kann das aufwiegen. Mitunter sinken die organischen Besucher, statt zu steigen.

Das ist alles nur SEO-Prosa – wird mitunter dagegengehalten, wenn das Thema im Management diskutiert wird. Alarmismus zur Rechtfertigung der Suchmaschinenabteilung. Dass es weit mehr als das ist, stelle ich an zwei Relaunch-Beispielen aus unserem Verlagshaus vor, die meine Kollegin Isabelle Muthmann kürzlich als Teil unseres digitalen Meetups und SEO-Roundtables mit SISTRIX gezeigt hat.

Website Relaunch: Verschlanken ist das A und O bei großen Content-Projekten

Als Fachverlag haben wir viele Special-Interest-Webseiten im Portfolio. Nicht alle sind mit einer konsistenten SEO-Strategie gemanaged worden, da sie in unterschiedlichen Zuständigkeiten lagen. Das haben wir 2018 durch die Zentralisierung aller Webseiten in unsere digitale Marketing- und Fulfillment Abteilung Platform X geändert. Seitdem erfahren alle Webseiten nach und nach einen Upfresh und eine Strategie-Prüfung in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachverlagen. Unsere beiden Cases redenwelt.de und workingoffice.de sind zwei dieser zahlreichen Relaunches.

Anders als beim Daily-Doing spielen in einen Relaunch viele strategische Fragen hinein: Unsere Verlage setzen ihr Augenmerk auf das Design, das Nutzer-Erlebnis und die redaktionelle Qualität, für uns geht es um den technischen Unterbau, die inhaltliche, oft suchmaschinenorientierte Ausrichtung und letztendlich um die Steigerung von Nutzern und Umsatz.

Bevor ich etwas mehr zu unserem Vorgehen erkläre, möchte ich ans Ende vorgreifen – was hat es gebracht? Im Fall von redenwelt.de hatten wir vor dem Relaunch rund 4.600 indexierte Seite. Danach noch 523:

Quelle: SISTRIX-Sichtbarkeitsindex von redenwelt.de

Bei workingoffice.de blieben von 18.600 Artikeln im Index 636 Seiten übrig. Eine radikale Kur, die heute Früchte trägt. Denn durch die Verschlankung haben wir an Keywords in den Rankings gewonnen:

Verhältnis indexierte Seiten und Top-10 Rankings vor und nach dem Webseiten Relaunch: Weniger indexierte Seiten führen zu besserem Ranking

Die Steigerung unserer Sichtbarkeit von 85% bei redenwelt.de und 48% bei workingoffice.de hat uns bei Marken-Bekanntheit, Vermarktungsmöglichkeiten und Lead-Generierung stark voran gebracht. Ein ebenfalls wichtiger Aspekt ist die stärkere Zielgruppen-Ausrichtung der Inhalte. Waren diese vorher häufig nach dem „Masse“-Prinzip erstellt, stellen sie heute auf die passende Suchintention des Nutzers ab, der auch unser Kunde sein kann.

Löschen und Konsolidieren: So geht mein Team beim Relaunch vor

Workingoffice.de ist als Webseite die digitale Ergänzung zu unserer Fachzeitschrift gleichen Namens mit dem inhaltlichen Schwerpunkt auf professionellem Büromanagement, redenwelt.de ist unser digitales Produkt rund um das Schreiben von Reden für den beruflichen und privaten Anlass.

Beide Seiten sind kein alleinstehendes, redaktionelles, digitales Lese-Angebot, sondern auch Print/Digital-Produkt-Bestandteil und Start bei der Themenrecherche von möglichen zukünftigen Kunden. Dieses Hintergrundwissen ist für den nächsten Schritt unseres Content-Audits wichtig, der jeder Lösch- und Konsolidierungsaktion voran geht und auf die erste Phase der grundsätzlichen Strategie-Findung folgt. Unser Content-Audit folgt vier großen Fragen:

  • Welche Signale aus den unterschiedlichen Quellen wie Google-Suche, Verlinkungen oder sozialen Medien sind vorhanden?
  • Welche Themen kannibalisieren sich, sind doppelt vorhanden oder irritieren die Suchmaschine bei der optimalen Ergebnis-Ausspielung eines Artikeln von uns?
  • Haben wir gute Rankings für irrelevante Keywords, die keine zielgruppenspezifische Suchintention haben?
  • Haben wir schlechte oder keine Rankings für relevante Keywords, die Suchintention und Zielgruppe erreichen würden?

Um die Fragen zu beantworten aggregieren wir unsere Inhalte mit allen Signal-Kennzahlen in Spreadsheets zusammen. Wir führen zusätzliche Keyword-Analysen durch und durchleuchten unsere potenzielle Zielgruppe. Zum Beispiel durch Gespräche mit unseren Fachverlagen oder ihren Kunden. Aus all diesen Informationen entsteht am Ende ein klares Modell der Gliederung der Inhalte nach thematisch passenden Kategorien.

Keyword-Kannibalisierung: Das größte Problem bei redaktionellen Angeboten

Fast immer ist der größte Faktor beim Audit die Keyword-Kannibalisierung, der das Löschen und Konsolidieren folgt: Durch den Aufbau von vielen Inhalten über die Jahre entstehen häufig ähnliche Artikel.

Nehmen wir ein Beispiel von redenwelt.de: Zum Thema „Festtagsreden“ hatten wir verschiedene Redentipps, die thematisch und holistisch am besten in einem Text aufgehoben gewesen wären.

Stattdessen verteilte sich das Thema auf verschiedene Artikel, die unterschiedlich rankten. Dadurch hatten wir keine konsistenten Signale für die Suchmaschine und auch der Nutzer erreichte nur mit Glück den thematisch besten Artikel:

Redenwelt Keyword-Historie zu Festtagsreden vor dem Relaunch

Die größte und zeitaufwendigste Arbeit für das Team ist das Sichten und vollständige Erfassen all dieser Beiträge und ihre Zuordnung zum gleichen Themenkomplex. Im nächsten Schritt das redaktionelle Zusammenlegen.

Sprich: Die Inhalte für einen Redakteur zur Verfügung zu stellen, der mit allen Hinweisen rund um die relevanten Keywords, die Suchintention aus den alten Texten einen hochwertigen, neuen Text erstellt. Den größten Aufwand stellen die Vor-Recherche, das Briefing und die Optimierung mit Tools wie termlabs.io, dar.

Beim Erstellen muss überlegt werden, welcher der vielen Artikel, die aktuell ranken, in Zukunft der Hauptartikel sein soll, oder ob eine ganz neue URL erzeugt werden soll. In jedem Fall muss auf diese eine URL von allen Artikeln weitergeleitet werden und strukturell gesehen, dieser Artikel sinnvoll in einem Silo verankert sein.

Ist man gründlich und konsequent, ist das bereits die halbe Miete und die entstehenden Inhalte zeugen am Ende von redaktioneller Qualität und Autorität, die den Leser von uns überzeugen und fast nebenbei positive Signale für Google erzeugt. In Kurzform:

Maßnahmen und Wirkung von Keyword-Konsolidierungen

Auch wenn die Keyword-Kannibalisierung eine unserer wichtigsten Aufgaben ist, sind die beiden anderen genannten Parameter nicht zu vernachlässigen: Gute Rankings für irrelevante Keywords und schlechte Rankings für relevante Keywords. Ein Teil dieser Inhalte erledigen sich bei der Keyword-Kannibalisierung von selbst. Allerdings niemals alle.

Löschen: Gute Rankings für irrelevante Keywords

Natürlich fällt es schwer, Inhalte zu löschen, für die man positive Signale und möglicherweise Traffic und Vermarktungserfolge erzeugt. In einer modernen, durch Suchintention getriebenen Google-Welt muss man sich aber die Frage gefallen lassen, ob man damit langfristig Chancen hat zu ranken.

Früher oder später wird Google zu dem Schluss kommen, dass diese Inhalte nicht zum Themenschwerpunkt der Seite passen.

Auch Leser, die auf die Webseite kommen werden, frustriert wieder gehen, wenn sie feststellen, dass man inhaltlich nichts Sinnvolles zu bieten hat. Als Beispiel können auch hier workingoffice.de und eine Auswahl von Keywords, für die gerankt wurde, dienen:

Beispiel Keywords für falsche Suchintention vor dem Relaunch

Teile der Rankings lassen sich durch Nutzer-Diskussionen im alten Forum der Webseite erklären – bieten sie aber darüber hinaus einen Mehrwert für die Zielgruppe, der im Büromanagement Tätigen?

Die Antwort ist nach ausführlicher Recherche der Suchintention häufig „nein“ – entsprechend müssen die Inhalte gelöscht und weitergeleitet werden. Haben sie einen inhaltlichen Mehrwert, steht die Entscheidung an, ob sie in einen bestehenden Inhalt eingegliedert werden sollten, oder genug Tiefe für einen eigenen Beitrag haben.

Schreiben oder Konsolidieren: Der Fall der schlechten oder fehlenden Rankings für relevante Keywords

Der letzte unserer Audit-Punkte ist fast der Einfachste: Bisher fehlende oder nicht vorhandene Rankings für relevante Keywords werden entweder dadurch abgefangen, dass diese Keywords in einer Konsolidierung aus der Keyword-Kannibalisierung mit abgebildet werden. Alternativ muss eine ausführliche Keyword-Recherche mit Erstellung eines neuen Artikels innerhalb eines passenden Silos erfolgen.

Die Basis ist hier wieder die Gleiche wie in den anderen Fällen: Suchintention recherchieren, alle passenden Keywords finden, sicherheitshalber nochmals auf Keyword-Kannibalisierung des neuen Themas prüfen, das Thema in der Silo-Struktur verorten und mittels eines guten Briefings den Autor schreiben lassen. In einem Bild dargestellt haben wir mittels unserer Content-Audits folgendes umgesetzt:

Basispunkte eines Content-Audits

Wichtig zu erwähnen ist, dass die hier genannten Maßnahmen nur ein Ausschnitt aus dem gesamten Prozess eines Relaunches sind – und auch beim Audit können viele weitere, kleine und große Elemente hineinspielen.

Dazu zählt die Frage, ob ein Text reicht, oder nicht Grafiken, Videos oder Audio-Dateien erzeugt werden müssen, um in verschiedenen Bereichen zu ranken.

Auch das Thema inhaltliche Auszeichnung, Reoptimierung nach Relaunch oder die taktische Optimierung für Features Snippets habe ich außen vor gelassen. Am Ende ist ein erfolgreicher Relaunch immer die Summe vieler Komponenten – auch die technische Seite ist in Zeiten von Google Web Vitals nicht zu vernachlässigen.

Dennoch zeigt sich für uns als taktisch wertvollstes Mittel im redaktionellen Umfeld eine Konsolidierungs- und Lösch-Strategie im Rahmen eines Relaunches aber auch im Tagesgeschäft als essenziell wichtig. Am Ende stellen wir die Suchmaschine, aber auch den Nutzer zufrieden, denn er findet, was er sucht in der (hoffentlich) richtigen Qualität.

Fazit: Keine Angst vor Verkleinerung beim Website Relaunch

Ich habe Anfangs auf unseren Erfolg im Sichtbarkeitsindex von SISTRIX und bei den Top-10 Keywords abgestellt. Zum Abschluss möchte ich die Traffic-Entwicklung beider Projekte aufzeigen, seit sie Anfang 2020 neugestartet sind und einen Satz zum Ziel sagen.

Bei redenwelt.de haben wir unser Ziel, die Reichweite für das Projekt in der Zielgruppe rund um das Thema „Reden“ präsenter zu sein und die Marke zu pushen, für uns mit +136% vor dem Relaunch klar erreicht:

Traffic Entwicklung redenwelt.de
redenwelt.de

Auch bei workingoffice.de konnten wir ein deutliches Plus im Traffic verzeichnen – hier ist das prozentuale Wachstum von 48% allein nicht der signifikante Erfolg: Wir haben vielmehr geschafft, die gesamte Grundstruktur der Seite von vielen irrelevanten Rankings auf hauptsächlich für die Zielgruppe passende zu ändern und trotzdem Traffic gewonnen.

Traffic-Verlauf workingoffice.de
workingoffice.de

Ich hoffe, mit beiden Fällen ein klareres Bild für andere contentstarke Angebote gezeichnet zu haben, warum weniger Inhalte häufig sogar mehr ist. Ich ermutige jeden, diesen Schritt zu gehen und bin offen für Rückfragen und Diskussionen.

HINWEIS

Die verwendeten Grafiken in diesem Beitrag entstammen dem Vortrag meiner Kollegin Dr. Isabelle Muthmann der hier bei YouTube ab Minute 20:45 einsehbar ist. Danke Isabelle für die tolle Aufarbeitung!